Fundstücke

Von der Zivilisation vergessen ruhen die Überreste menschlichen Fortschrittglaubens seit Ewigkeiten auf ihren Friedhöfen; im Erdreich eingebettet und von Pflanzen überwuchert verweilen sie in verwilderten Gärten, an Stränden, auf Schrottplätzen oder stillgelegten Industrieanlagen. Dort liegen sie allgegenwärtig und unbeachtet. Angepasst an ihre Umgebung werden sie nicht mehr wahrgenommen. Dort werden sie als Schrott bezeichnet: rostig, zerbrochen, verbogen, dreckig, nutzlos.

Ich suche und finde sie: Ich freunde mich mit ihnen an und nehme sie mit zu seinen Artgenossen in mein Fundstücklager. Es kommt die Zeit, da nehme ich eines heraus, kombiniere es je nach dem mit wenigen oder auch vielen seiner Freunde; ein Kunstobjekt entsteht.

Meine Arbeit ist die mit einem Archäologen vergleichbar, der ausgegrabene Scherben solange miteinander kombiniert bis sich ein „Ganzes“ ergibt, mit dem Unterschied, dass mein geschaffenes „Ganzes“ noch nie als solches existierte. Der Prozess der Arbeit verselbständigt sich, das Kunstobjekt wächst von alleine. Die einzelnen Teile wachsen zusammen. Meine Arbeit ist die des kreativen und handwerklichen Zusammenfügens. Das Werk ist fertig, wenn es „stimmt“.

(Odo Rumpf, 1992)

Spurensucher und Umdeuter

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Odo Rumpf ist ein Sammler. Ein Industriearchäologe eigener Prägung auf der Spur einer sich langsam zersetzenden Epoche. Und kreativer Umdenker der von ihm entdeckten, meist verwitterten Fundstücke. Wie in einem Puzzle stellt und ordnet er sie in einen Zusammenhang und verleiht den Teilen, in von ihm erdachten Arrangements neue Bedeutungen. Doch nicht allein dieser neue, durch ihn erst erstellte Zusammenhang ist ihm wichtig; interessant bleibt ihm auch die wirkliche, wie zugedachte Geschichte der benutzten Einzelstücke. Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile, unterstreichen seine Skulpturen daher in besonders beeindruckender und in der Form sehr ästhetisch wirkender Weise. Trotz des bewussten Verhaftens in der alltäglichen Form bleiben Banalität oder auch eine provozierende Ästhetik des Hässlichen außen vor. Durch den Gebrauch bzw. die Umnutzung des Alltäglichen wird keinesfalls das Ideal negiert, vielmehr verstärkt sich hierdurch die Suche nach dem Dahinterstehenden, dem Metaphysischen. ....

 

(Auszug aus der Einführungsrede von Franz Rudolf Menne zur Ausstellung im Kunsthaus Bocholt am 6. Mai 2001.)

Pflanzenobjekte

Industrieanlagen; großflächig wie ganze Stadtteile, alles durchorganisiert, jeder Fleck verplant; riesige Beton- und Asphaltflächen aufgelockert durch Maschinenhallen und Industriegüter. Keine Utopie sondern Wirklichkeit; hier hat die Erde viel verloren. Es gibt dort auch Lebewesen, nur scheint das erste Wort dieses Begriffes allmählich zu verschwinden. Menschen arbeiten nach unbegreiflichen Zielen, Pflanzen fristen ihr Dasein in Hydrokulturen und penibel angelegten Beeten.

Diese Orte wirken so langweilig, alles ist berechnet, nichts Unerwartetes wird geschehen (es sei denn, ein GAU in einem Atomkraftwerk).

Pflanzen faszinieren mich. Durch sie wird wieder Leben in stillgelegten Industrieanlagen sichtbar. Was für Menschen nur mit großem Kraftaufwand durch Maschinen geschieht, vollbringen Pflanzen spielend in ihrer Zeit. Sie durchdringen Beton- und Asphaltflächen, sprengen Mauerwerke auseinander, vertilgen lautlos die Altlasten der Vorbesitzer. Durch ihr Auftreten an unerwarteten Orten, ihrer Vielzahl und Unordnung, ihrem Wechsel zu den Jahreszeiten und ihrem Geruch hauchen sie dem Gelände ein Gefühl von Freiheit und bessere Luft ein.

Auch sie erzählen, wie meine Industriefundstücke, von ihrem Leben, sichtbar durch die Spuren ihrer Wurzeln im Mauerwerk und Asphalt, das Verschlingen von Drahtzäunen und Umranken von humusarmen Industrierelikten.

Eine Hommage an diese Pflanzen bilden meine Pflanzenobjekte aus Industriefundstücken, wobei mir die Ästhetik der einzelnen verwendeten Stücke sehr wichtig ist.

Existiert da nicht eine verblüffende Ähnlichkeit von der Ästhetik meiner Fundstücke zu der von wildwachsender Pflanzen?

Meine Industrieteile sind sich überlassen worden, sie konnten im Laufe der Zeit selber „wachsen“, und zwar wild, ohne bewußtes Eingreifen oder Formen durch den Menschen in Hinblick auf die Züchtung ästhetischer Objekte:
Einst gerade Eisenträger winden sich wie die Stiele von Rankpflanzen, glatte metallene Bleche wölben sich wie Blätter, der nagende Rost hat Oberflächen aufgerissen und Ränder ausgefranst, stark verbeulte Teile ähneln Blüten.

Durch die Kombination und das Zusammenstellen einzelner „frei gewachsener“ Fundstücke verschmelze ich wildwachsende Pflanzen und stillgelegte Industriegelände zu Pflanzenskulpturen, mit all ihrer Symbolik, Freiheit und Kraft jener zu neuem Leben erwachenden Industriebrachen. Der Humus, die Blumentöpfe, die Hydrokulturbehälter meiner Skulpturen sind riesige zerbrochene Kabeltrommeln, Pumpengehäuse und verwitterte Holzschwellen. So gestalte ich eine authentische Symbiose mit der eigentlichen Pflanze.

Mit Abstand betrachtet zeigen meine Skulpturen Leichtigkeit und sanfte Wildheit in ihren natürlichen Formen, Pflanzen aus einer exotischen Welt.

Betrachtet man sie näher, ist Vorsicht geboten; Die leicht knickbar wirkenden Stiele und Stämme sind aus hartem Eisen, ausgefranste Kabelteile sind spitz wie Nadeln, das Nest des Provenienz (im „Funkie“-Baum) ist aus Stacheldraht geflochten und Blüten werden zu riesigen Mäuler fleischfressender Pflanzen.

Das ganze Szenario ist eine Mischung aus „Dynosaurier“-Ausstellung und Science Fiktion. Der Betrachter kommt nicht umher, sich Gedanken zu machen. Die Einzelteile der Ungetüme sind mittels seiner Arbeitskraft und seinem Willen geschaffen worden; jetzt haben sie sich verselbstständigt und wirken bedrohlich, nicht mehr beherrschbar. 
(Vorsicht bei der fünf Meter großen fleischfressenden Pflanze „Audrey“, deren zwei Meter große Blütenblätter pneumatisch auf und zu klappen und locker den Betrachter verschlingen könnten.)

Im Kampf ums Überleben in einer der Pflanzen unnatürlichen Welt ist eine neue Vegetation aus den industriellen Überresten menschlichen Fortschrittglaubens entstanden. Aus längst totgeglaubten verwitterten Normteilen der Schwerindustrie haben sich Mutanten formiert, die außer ihrer Schönheit auch Immunität vorweisen, um ihre Daseinsberechtigung zu verteidigen.